Was faule Äpfel mit Mitarbeitern gemeinsam haben – diesen und anderen Fragen gingen wir bei der 2. Ottilianer Runde nach, zu der das Benediktinische Beraternetzwerk St. Ottilien (BBSTO) im Rahmen seiner „Benediktinischen Denkfabrik“ geladen hatte.
Die Zusammenfassung der 1. Ottilianer Runde findet sich übrigens hier: (12) Premiere der Ottilianer Runde | LinkedIn
Auch dieses Mal sollte der Diskurs, bei dem wir das Thema „Werte und Wirtschaftlichkeit“ nochmals aufgegriffen haben, wichtiger sein als das Ergebnis, der Ansatz weniger hochgeistig als vielmehr pragmatisch, aus dem Leben gegriffen.
Dem entsprechend läutete ein Vertreter des Handwerks den Abend ein mit der Schilderung seiner Übernahme des elterlichen Betriebes nach 40 Jahren Erfolgsgeschichte. Angesichts der Tatsache, dass der Mitarbeiterstamm bereits vorhanden war, und er an dieser Schraube folglich kaum drehen konnte, hat er instinktiv die Bedeutung der „richtigen“ Kunden erkannt.
„Wenn mal etwas nicht funktioniert hat, dann habe ich es im Grunde bereits beim ersten Kontakt mit diesem Kunden innerlich gewusst, wenn auch nicht immer wahrgenommen“ – so seine Selbsterkenntnis. Daher werden heute in seltenen Fällen Kunden auch mal komplett abgelehnt.
Seine Erfahrung: Liebe Deine Kunden, und der Gewinn für die Firma kommt dann automatisch.
In Bezug auf das Thema „vorhandener Mitarbeiterstamm“ stieß dann die Frage auf große Resonanz bei den Rundenteilnehmern, ob es statthaft sei, Mitarbeiter zu versetzen, die ihre Arbeit vermutlich nicht gerne und daher auch nicht gut machen. Schließlich habe man ja eine Fürsorgepflicht und könne diesen Mitarbeitern nicht das Einkommen wegnehmen.
Hier schaltete sich Erzabt Wolfgang mit einem auf den ersten Blick provokanten Zitat Benedikts ein: „Wenn ein Apfel faul ist, dann soll man ihn von den anderen trennen, weil er sonst die anderen auch faul macht.“
Prompt kam umgehend der Einwurf, die Entscheidung, ob ein Apfel faul sei, bitte nicht zu schnell zu treffen. Schließlich handelt – Achtung, These, auf die später noch Bezug genommen wird – niemand aus Bösartigkeit heraus, sondern meist ist die Non-Performance auf eine Nicht-Bewältigung von Problemen im Umfeld der Mitarbeiter zurückzuführen. Wenn es gelingt, diese Muschel zu knacken, dann werden die Mitarbeiter zwar nicht zwingend zu Leistungsträgern, aber häufig zu akzeptablen Kollegen.
Leider gibt es viele Führungskräfte, die das Problem aussitzen und die Äpfel einfach im Korb lassen. Ja, es gilt, Mitarbeiter zu schützen, aber nur so lange, wie sie den Rest des Betriebs nicht sprengen. Im Kloster St. Ottilien gibt es dazu für die weltlichen Angestellten eine Mitarbeitervertretung aus sieben gewählten Personen, die jeder Neueinstellung, jeder Gehaltsmaßnahme, aber auch jeder Abmahnung oder Kündigung zustimmen müssen bzw. können.
Aber ist das auch auf die freie Wirtschaft übertragbar? Schließlich denkt ein Kloster langfristiger, Investitionen haben teilweise deutlich andere prognostizierte Amortisationszyklen.
Hierzu kam Bestätigung von der ersten Frau in der Runde (über die wir uns übrigens sehr gefreut haben), Vertreterin aus der Personalabteilung einer großen deutschen Versicherung: es sei wichtig, frühzeitig Feedback zu geben und die Wahrnehmungen auszusprechen. Dazu bräuchte es Offenheit und Vertrauen auf beiden Seiten, niemand dürfe entwürdigt werden.
Oft wird allerdings zu lange zugeschaut und gedeckt, und wenn es eskaliert, muss „das Problem“ scheinbar ganz schnell gelöst werden. Das gilt nicht nur über Hierarchiestufen hinweg, sondern auch für Mitarbeiter untereinander.
Dass es dazu kein eigens angesetztes, längeres Feedback-Gespräch braucht, wurde anhand folgenden Beitrags ersichtlich: „jemanden auf die Baustelle zu begleiten ist viel besser als jedes Mitarbeiter-Gespräch!“
Es geht also darum, frühzeitig einen Bezug zum Mitarbeiter herzustellen, dann findet man auch das Potenzial, und aus einem faulen Apfel wird ein Apfelbaum! Wenn man selbst mit jemandem nicht zurechtkommt, kann man sich ja immer noch umsehen, ob nicht andere mit dessen Potenzial besser klarkommen, auch wenn es dafür keine Garantie gibt und es teilweise einen langen Atem braucht.
Die Verantwortung für den konstruktiven Dialog liegt aber nicht nur bei den Führungskräften: Gleich mehrere Teilnehmer aus der Runde vermissten eine gewisse Wertschätzung ihrer Mitarbeiter, die durchaus auf unterschiedlichen Vorstellungen beruhen und unterschiedlich geäußert werden kann.
Viele Mitarbeiter sind hauptsächlich auf das „Ent-Geld“ fixiert, betrachten das Unternehmen als bloße Geldmaschine, die automatisch am Ende des Monats ein Gehalt ausspuckt.
Dabei verlieren sie nicht nur den Bezug zu der Lebensrealität anderer (z.B. der der Unternehmer, die den langfristigen Erfolg eines Unternehmens in dynamischen Märkten sicherstellen und dabei Vorsorge für so manche Risiko-Klippe treffen müssen), sondern geben ihre (Eigen-)Verantwortung an die Führungskräfte ab.
Das kann ich persönlich aufgrund meiner Erfahrung mit inzwischen mehr als 9.000 Teilnehmern meiner Workshops bestätigen: Inzwischen habe ich mir schon zur Gewohnheit gemacht, auf Fragen, wie man „etwas richtig macht“ mit folgender Gegenfrage zu antworten:
„Was würdest Du tun, wenn es Dein eigenes Unternehmen wäre?“ – und siehe da: Aus diesem Blickwinkel betrachtet ergibt sich eine zufriedenstellende Antwort auf wundersame Weise ganz von allein.
Daraus schließe ich, dass viele vergessen haben, dass sie selbst Teil des Systems sind und damit mitverantwortlich für den gemeinsamen Erfolg.
Dies immer wieder liebevoll vor Augen zu führen und mit der Vermittlung von Visionen den Sinn jedes Einzelnen darzustellen ist wohl eine der fundamentalsten Aufgaben jeder Führungsrolle.
Apropos Sinn: Schon seit Benedikt´s Zeiten geht es nicht um Gewinnmaximierung, sondern darum, wert-volle Dinge zu tun und zur Gemeinschaft beizutragen. Wer sich daran ausrichtet, erfährt wohl unweigerlich den essenziellen Unterschied zwischen Wohlstand und Wohlbefinden.
An der Vermischung dieser beiden Begriffe mag es liegen, dass es inzwischen mehr Selbstmorde als Verkehrstote gibt. Es ist also an der Zeit, sich wieder der Sinn-Frage bewusst zu werden und zu stellen.
Dazu müssen wir aber den Wert der Arbeit neu definieren und schätzen lernen. Zu viele Unternehmen richten sich inzwischen häufiger nach internen Referenzen aus (z.B. der Erfüllung von Zielen und Prozessen auf allen Hierarchieebenen) und erzeugen damit mehr (Selbst-)Beschäftigung als echte Arbeit. Letztere orientiert sich nämlich immer an externen Referenzen (z.B. der Erzeugung von Mehrwert beim Kunden) und dient damit dem eigentlichen Zweck eines Unternehmens und damit auch der ganzen Gesellschaft.
Die viel zitierte Work-Life-Balance suggeriert fälschlicherweise, dass es eine Trennung zwischen Arbeit und Leben gibt. Nicht zuletzt das Kloster tut sich neuerdings schwer, Novizen (Anwärter auf das Ordensleben) zu finden, weil es ja „nur zwei Wochen Urlaub im Jahr“ gibt.
Wenn es gelingt, Arbeit auch als Leben zu empfinden, wird Arbeit auch wieder eines der großen sinnstiftenden Elemente im Leben, und das Entgelt ist nicht die Vergütung entgangener Lebensfreude!
Und vielleicht ließe sich so auch ganz nebenbei dem akuten Fachkräftemangel entgegenwirken. Schließlich sieht der Zimmerman am Ende des Tages stolz, was er gebaut hat, im Gegensatz zu mancher Rolle in der (Selbst-)Verwaltung.
Wobei, eine gute Seite hat die hoffentlich vorübergehende Personalnot vielleicht sogar: Demut, Dankbarkeit und Wertschätzung.
Erzabt Wolfgang beteiligte sich anlässlich einer größeren Veranstaltung im Exerzitienhaus kürzlich selbst an der Reinigung von Zimmern und Duschen und wurde sich wieder bewusst, was seine Angestellten und Mitbrüder täglich leisten. Dass dieses Vorbild-Leben ganz nebenbei einen extremen Motivationsfaktor darstellen kann, ist wohl unbestritten.
An dieser Stelle kam die entscheidende Frage auf, ob jetzt die Leute selbst „faul“ sind (im doppelten Wortsinne sowie im Sinne von undankbar und achtlos), oder schlecht geführt.
Damit nehme ich Bezug auf die oben verlautete These und unsere benediktinisch geprägte Überzeugung: Menschen sind nie schlecht, aber es gibt Umstände, die sie verleiten.
Nicht umsonst propagiere ich auf meiner Webseite mehr Bewusstheit und Eigenverantwortung, denn wenn jeder bei sich anfängt, die Verführungen des Wohlstands zu entlarven und mehr Sinn in sein Leben zu bringen, dann stellt sich auch mehr Wohlbefinden ein, und die Welt ändert sich. Nicht nur linear, sondern exponentiell!
Es gibt also vermutlich keine entweder-oder-Antwort auf die Frage, ob es nun die Aufgabe von Führungskräften oder jedes Einzelnen ist, sich zu be-sinnen, aber in jedem Fall steht es im Jobprofil jeder Führungskraft, für sinnstiftende Tätigkeiten zu sorgen und Mitarbeitern den Sinn auch zu vermitteln.
Erzabt Wolfgang warf passend zum Abschluss der wieder einmal viel zu kurzen Runde ein, dass schon Jesus über das Stellen von 300 Fragen geführt hat. Die erste davon: „Was suchst Du eigentlich?“
Ein herzliches Dankeschön an Stefan Fichtl, Bernhard Meiners, Bernd Höreth, Christoph Heumos, Kristina Pfister, Bernhard Dr. Schmalzl, Michael Häußinger, Bruder Josef Götz und Erzabt Wolfgang Öxler für den vielseitigen, offenen und konstruktiv-humorvollen Austausch!
Ob unsere These, dass Menschen nie schlecht sind, auch wirklich einer näheren Überprüfung standhält, und ob es einen Unterschied zwischen Charakter und Verhalten von Menschen gibt, wollen wir nicht ohne Grund in der nächsten Ottilianer Runde im Oktober prüfen – dann zum Thema „Menschenbild“. Man darf gespannt sein…